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 ==== - Nr. 2: Anerkannten-/Drittstaatenfälle ==== ==== - Nr. 2: Anerkannten-/Drittstaatenfälle ====
  
-===== - Anhörung =====+=== - VGH Baden Württemberg, Beschluss vom 13.10.2022, A 4 S 2182/22 ===
  
-==== - VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 9.2.2024, 18a K 261/21.A ====+**Zum Begriff der "Vulnerabilität"** 
 + 
 +Leitsatz: 
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 +>**Der unionsrechtliche Begriff der "Vulnerabilität" und die diesbezügliche richterliche Bewertung sind im Dublin- oder Drittstaatenfall nicht durch § 60a Abs. 2c AufenthG definiert oder beschränkt.** 
 + 
 +Rn. 8 .: 
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 +>Ob eine Person der Gruppe der vulnerablen Personen zuzuordnen ist, ist im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem auch in Dublin- oder Drittstaatenfällen unter Berücksichtigung insbesondere von Art. 21 der Aufnahme-RL 2013/33/EU zu bestimmen. Danach berücksichtigen die Mitgliedstaaten "die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien". Vergleichbares ist in Art. 20 Abs. 3 der Anerkennungs-RL 2011/95/EU geregelt; nach Absatz 4 der Norm muss diesbezüglich ausdrücklich eine "Einzelprüfung" durchgeführt werden. Auch hieraus ergibt sich, dass für die Frage der Vulnerabilität immer auf die individuellen Umstände der Person abzustellen ist. 
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 +>Der Begriff der "speziellen Schutzbedürftigkeit" bzw. "Vulnerabilität" ist mithin im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem selbst verankert und damit Unionsrecht. Auch unbestimmte Rechtsbegriffe des Unionsrechts genießen Anwendungsvorrang vor grundsätzlich dem gesamten nationalen Recht und müssen im Sinne des "effet utile" europaeinheitlich praktische Wirksamkeit entfalten (vgl. schon EuGH, Urteil vom 09.03.1978, Rs. C-106/77 ; Bergmann, Handlexikon der EU, 6. Aufl. 2022, S. 1095 f., m.w.N.). Hieraus ergibt sich, dass der unionsrechtliche Begriff der "Vulnerabilität" nicht durch eine nationale Norm in einem Mitgliedstaat in bestimmter Hinsicht definiert werden kann. Dementsprechend kann weder § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG regeln, dass unionsrechtlich zu vermuten ist, dass oder wann ein Antragsteller im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich als "nicht-vulnerabel" anzusehen ist, noch kann § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG bestimmen, wie die unionsrechtlich vorgeschriebene Einzelfallbewertung der "Vulnerabilität" nach Art. 21 der Aufnahme-RL 2013/33/EU bzw. Art. 20 der Anerkennungs-RL 2011/95/EU europaweit oder auch nur in Deutschland einschränkend zu erfolgen hat. Die anwendungsvorrangigen Normen des Unionsrechts müssen vielmehr nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wegen des Erfordernisses der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, soweit sie, wie hier, für einen bestimmten Begriff nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten. Diese Auslegung muss unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der betreffenden Vorschrift, sondern auch ihres Kontexts und des mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgten Ziels gefunden werden (so EuGH, Urteil vom 19.03.2019, Rs. C-163/17 Rn. 55, m.w.N.). 
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 +=== - VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 9.2.2024, 18a K 261/21.A === 
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 +**Formelle Rechtswidrigkeit eines Bescheides wegen fehlender persönlicher Anhörung**
  
 >Der Bescheid vom 12. Januar 2021 ist formell rechtswidrig. Die Klägerin zu 1. ist vor seinem Erlass nicht persönlich angehört worden. Vielmehr wurden ihr lediglich die schriftlichen Fragebögen „Dublin Erst- und Zweitbefragung (D1277 + D1416)“ in arabischer Sprache zur schriftlichen Stellungnahme überreicht. >Der Bescheid vom 12. Januar 2021 ist formell rechtswidrig. Die Klägerin zu 1. ist vor seinem Erlass nicht persönlich angehört worden. Vielmehr wurden ihr lediglich die schriftlichen Fragebögen „Dublin Erst- und Zweitbefragung (D1277 + D1416)“ in arabischer Sprache zur schriftlichen Stellungnahme überreicht.
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 {{:240209_vg_ge_anhrg.pdf|Gerichtsbescheid}} {{:240209_vg_ge_anhrg.pdf|Gerichtsbescheid}}
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-===== - Vulnerabilität ===== 
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-==== - VGH Baden Württemberg, Beschluss vom 13.10.2022, A 4 S 2182/22 ==== 
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-Leitsatz: 
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->**Der unionsrechtliche Begriff der "Vulnerabilität" und die diesbezügliche richterliche Bewertung sind im Dublin- oder Drittstaatenfall nicht durch § 60a Abs. 2c AufenthG definiert oder beschränkt.** 
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-Rn. 8 .: 
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->Ob eine Person der Gruppe der vulnerablen Personen zuzuordnen ist, ist im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem auch in Dublin- oder Drittstaatenfällen unter Berücksichtigung insbesondere von Art. 21 der Aufnahme-RL 2013/33/EU zu bestimmen. Danach berücksichtigen die Mitgliedstaaten "die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien". Vergleichbares ist in Art. 20 Abs. 3 der Anerkennungs-RL 2011/95/EU geregelt; nach Absatz 4 der Norm muss diesbezüglich ausdrücklich eine "Einzelprüfung" durchgeführt werden. Auch hieraus ergibt sich, dass für die Frage der Vulnerabilität immer auf die individuellen Umstände der Person abzustellen ist. 
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->Der Begriff der "speziellen Schutzbedürftigkeit" bzw. "Vulnerabilität" ist mithin im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem selbst verankert und damit Unionsrecht. Auch unbestimmte Rechtsbegriffe des Unionsrechts genießen Anwendungsvorrang vor grundsätzlich dem gesamten nationalen Recht und müssen im Sinne des "effet utile" europaeinheitlich praktische Wirksamkeit entfalten (vgl. schon EuGH, Urteil vom 09.03.1978, Rs. C-106/77 ; Bergmann, Handlexikon der EU, 6. Aufl. 2022, S. 1095 f., m.w.N.). Hieraus ergibt sich, dass der unionsrechtliche Begriff der "Vulnerabilität" nicht durch eine nationale Norm in einem Mitgliedstaat in bestimmter Hinsicht definiert werden kann. Dementsprechend kann weder § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG regeln, dass unionsrechtlich zu vermuten ist, dass oder wann ein Antragsteller im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich als "nicht-vulnerabel" anzusehen ist, noch kann § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG bestimmen, wie die unionsrechtlich vorgeschriebene Einzelfallbewertung der "Vulnerabilität" nach Art. 21 der Aufnahme-RL 2013/33/EU bzw. Art. 20 der Anerkennungs-RL 2011/95/EU europaweit oder auch nur in Deutschland einschränkend zu erfolgen hat. Die anwendungsvorrangigen Normen des Unionsrechts müssen vielmehr nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wegen des Erfordernisses der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, soweit sie, wie hier, für einen bestimmten Begriff nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten. Diese Auslegung muss unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der betreffenden Vorschrift, sondern auch ihres Kontexts und des mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgten Ziels gefunden werden (so EuGH, Urteil vom 19.03.2019, Rs. C-163/17 Rn. 55, m.w.N.). 
  
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29_asylg.1760287159.txt.gz · Zuletzt geändert: von marcel