Nach diesen Maßstäben droht der hier konkret betroffenen Klägerin aufgrund ihrer besonderen individuellen Situation bei einer Rückkehr nach Kroatien im Falle der Zuerkennung internationalen Schutzes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK, 4 EU-Grundrechtecharta verstoßende Behandlung.
Zwar stellen sich die Lebensverhältnisse für international Schutzberechtigte in Kroatien nach der Rechtsprechung der erkennenden Kammer nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK dar.
Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 1. Februar 2023 – 12 L 153/23.A, und vom 28. Februar 2023 – 12 L 431/23.A –; ebenso VG Köln, Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2020 – 14 K 2172/19.A –, juris, Rn. 18 ff.
Anerkannten Schutzberechtigten droht in Kroatien nicht automatisch die Obdachlosigkeit. Verfügen sie nicht über die Mittel, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, haben sie das Recht auf Unterbringung für einen Zeitraum von zwei Jahren ab Statuszuerkennung. Dazu ist ein Antrag bei der zuständigen Sozialfürsorgestelle nötig. Nach der zweijährigen Integrationsphase wird die Unterbringung nach dem Gesetz über Sozialleistungen geregelt. Schutzberechtigte sind nach den zwei Jahren, in denen sie auf Staatskosten gewohnt haben, zwar oft nicht in der Lage, eine eigene Unterkunft zu finden und zu bezahlen. In der Praxis dürfen sie aber in den entsprechenden Aufnahmezentren bleiben, bis eine angemessene Unterkunft bzw. Wohnung für sie gefunden ist.
Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Kroatien, Gesamtaktualisierung am 18. Mai 2020, S. 16 ff.; aida, Country Report: Croatia, 2021 Update, April 2022, S. 132 ff., abrufbar unter: https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/04/AIDA-HR_2021update.pdf.
Zudem können anerkannt Schutzberechtigte in Kroatien jedenfalls vorübergehend und ergänzend auf staatliche Leistungen und die Unterstützung durch caritative Organisationen zurückgreifen.
Alle Schutzberechtigte haben denselben Anspruch auf Sozialhilfe wie kroatische Bürger. Sie werden beim Erhalt und Ausfüllen der notwendigen Unterlagen zur Wahrnehmung vonSozialhilferechten unterstützt. Berichten zufolge ist die Sozialhilfe jedoch nicht ausreichend, um den eigenen Lebensunterhalt zu decken.
Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Kroatien, Gesamtaktualisierung am 18. Mai 2020, S. 16; aida, Country Report: Croatia, 2021 Update, April 2022, S. 140 f.
Berechtigte internationalen Schutzes sind zwar nicht krankenversichert, sie haben jedoch vollen Zugang zu medizinischer Versorgung, wobei der kroatische Staat die Kosten zu tragen hat. Sie müssen dazu lediglich ihre Identitätskarte vorlegen. Trotzdem gibt es in der Praxis Zugangshindernisse in Form von Sprachbarrieren sowie der Unwissenheit seitens des medizinischen Personals über die Rechte von Schutzberechtigten.
Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Kroatien, Gesamtaktualisierung am 18. Mai 2020, S. 18; aida, Country Report: Croatia, 2021 Update, April 2022, S. 141 f.
NGOs fördern die Integration international Schutzberechtigter mit zahlreichen Projekten.
Vgl. aida, Country Report: Croatia, 2021 Update, April 2022, S. 116 ff.
Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Suche nach einer Erwerbstätigkeit für international Schutzberechtigte in Kroatien von vornherein aussichtslos oder mit solchen Schwierigkeiten verbunden ist, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könnte, international Schutzberechtigte könnten in Kroatien ihren Lebensunterhalt – ggf. mit ergänzender staatlicher und caritativer Unterstützung – nicht selbst sicherstellen.
Schutzberechtigte haben in Kroatien denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie kroatische Bürger. Sie werden in der Integrationsphase von Sozialarbeitern betreut, die auch bei der Arbeitsvermittlung und Ausbildungsmaßnahmen helfen, zum Teil auch in Zusammenarbeit mit NGOs. Das Haupthindernis bei der Suche nach einer Beschäftigung ist das Erlernen der kroatischen Sprache, deren Beherrschung eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration und den Zugang zum Arbeitsmarkt ist. Laut Informationen des Arbeitsamts waren im Jahr 2019 146 anerkannte Flüchtlinge, 12 Personen unter subsidiärem Schutz und 13 Familienangehörige von Personen mit internationalem Schutzstatus als arbeitslos registriert.
Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Kroatien, Gesamtaktualisierung am 18. Mai 2020, S. 17; aida, Country Report: Croatia, 2021 Update, April 2022, S. 135 ff.
Nach den dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnissen und den im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen ist mithin davon auszugehen, dass die Schaffung von menschenwürdigen Lebensbedingungen für international Schutzberechtigte in Kroatien auch von der Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative des anerkannt Schutzberechtigten abhängig ist. Entscheidend ist, ob es ihm nach einer Anlaufzeit – ggf. mit Unterstützung durch den kroatischen Staat und NGOs – gelingen wird, trotz mangelnder Sprachkenntnisse und des ihm fremden Lebensumfeldes Arbeit zu finden und aus den daraus erzielten Einkünften seinen Lebensunterhalt auf zumindest niedrigem Niveau und damit auch seine elementarsten Grundbedürfnisse zu sichern.
Vgl. nur VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 1. Februar 2023 – 12 L 153/23.A, und vom 28. Februar 2023 – 12 L 431/23.A –.
Letzteres ist für die hier konkret betroffene Klägerin nicht anzunehmen. Es ist aus individuellen, in ihrer Person liegenden besonderen Gründen nicht ersichtlich, wie sie als international Schutzberechtigte in Kroatien die Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse in Bezug auf Unterkunft, Ernährung und sanitäre Einrichtungen dauerhaft gewährleisten könnte. Es drohen vielmehr Obdachlosigkeit und Verelendung. Die Klägerin wird aller Voraussicht nach nicht in der Lage sein, sich den dargestellten Bedingungen für international Schutzberechtigte in Kroatien zu stellen. Es wird ihr nicht gelingen, mit der ggf. in Kroatien gewährten Unterstützung eigenverantwortlich ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Die dortigen Sozialleistungen sind nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt der Klägerin vollständig zu decken.
Die Klägerin zählt zu den in Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie; ABl. L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9) genannten besonders schutzbedürftigen Personengruppen. Denn die 66 Jahre alte Klägerin gehört der Gruppe der älteren Menschen an; zudem ist sie gesundheitlich stark angeschlagen. Sie ist aufgrund ihrer Erkrankungen nicht in der Lage, den Alltag alleine zu führen. Sie ist deutlich in Ihrer Mobilität eingeschränkt und auf fremde Hilfe bezüglich Hausarbeiten, Waschen und Essenszubereitung angewiesen.