Rn. 32:
Was die zweite der in Rn. 28 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen betrifft, ergibt sich aus den Rn. 46 bis 65 des Urteils vom heutigen Tag, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Flüchtling, der eine schwere Straftat begangen hat) (C‑8/22), dass eine Maßnahme im Sinne von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b nur erlassen werden kann, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer solchen Gefahr hat die zuständige Behörde eine Prüfung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen.
Rn. 53:
[…] Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes
ist dahin auszulegen, dass
die Anwendung dieser Bestimmung von der Feststellung der zuständigen Behörde abhängt, dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft angesichts der Gefahr, die der betreffende Drittstaatsangehörige für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck muss die zuständige Behörde diese Gefahr gegen die Rechte abwägen, die nach der Richtlinie den Personen zu gewährleisten sind, die die materiellen Voraussetzungen von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie erfüllen, ohne dass sie jedoch darüber hinaus prüfen müsste, ob das öffentliche Interesse an der Rückkehr dieses Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland in Anbetracht des Ausmaßes und der Art der Maßnahmen, denen er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt wäre, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des internationalen Schutzes überwiegt.
2. Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger
ist dahin auszulegen, dass
er dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegensteht, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist.