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Populäre Rechtsirrtümer

Eine kleine Sammlung besonders verbreiteter juristischer Mythen, die mir in meiner Beratungspraxis besonders oft unterkommen

Wird von mir ab und zu mal erweitert, wenn ich gerade Lust dazu und Zeit dafür habe. Heißt, im Klartext:

Alle Aussagen, die in den nachfolgenden Überschriften getroffen werden, sind falsch!

Die meisten sind allerdings nicht komplett falsch, sondern haben durchaus einen wahren Kern; das Problem besteht eher in einer unzuverlässigen Verallgemeinerung.

1. „Wer arbeitet, bekommt Asyl!“

Gewissermaßen der Klassiker der Rechtsirrtümer in der asylrechtlichen Beratung: Wer „gut integriert“ ist, bekommt Asyl. Denn Leute, die fleißig Deutsch lernen, arbeiten, keine Straftaten begangen, außerdem noch Fußball spielen können und im Kirchenchor mitsingen, brauchen „wir“ doch; wie könnte man ihren Asylantrag da ablehnen?

Leider basiert diese Argumentation auf einem grundsätzlich falschen Verständnis der Funktion eines Asylverfahrens. Im Asylverfahren geht es nicht darum, wer wie gut „integriert“ ist, sondern es geht vorrangig um Gefahren, die im Herkunftsland drohen, wie beispielsweise politische Verfolgung. Etwaige Bleiberechte aufgrund von „Integration“ sind im Asylverfahren weder durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das ist die für die Durchführung von Asylverfahren zuständige Bundesbehörde, noch durch die Verwaltungsgerichte zu prüfen. Zwar gibt es bestimmte spezielle Konstellationen, in denen beispielsweise in Deutschland lebende Familienangehörige unter bestimmten Voraussetzungen in einem Asylverfahren relevant sein können. Das ändert aber nichts an Grundsatz, dass man sich im Asylverfahren hauptsächlich die Situation im Herkunftsland und die Gründe, aufgrund derer eine Person dieses Land verlassen hat, anschaut, und die Frage, was jemand seit der Einreise in Deutschland hier getrieben hat, in der Regel allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt.

Ein Asylverfahren ist kein Integrationswettbewerb!

Kurioserweise kann „Integration“ im Asylverfahren sogar zum Nachteil der*des Antragstellers*in ausgelegt werden: Wenn eine Person so „tüchtig“ ist, dass sie in kurzer Zeit eine so schwere Sprache wie die deutsche erlernt und hier eine Arbeit findet, kann man von einer solchen Person nicht auch erwarten, dass ihr dies auch in Mogadischu gelingen wird?

Das bedeutet allerdings nicht, dass „Integration“ eine schlechte Idee und völlig nutzlos ist. Denn im Anschluss und ggf. auch nach negativem Abschluss eines Asylverfahrens kann durchaus versucht werden, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder zumindest einer Duldung aufgrund gelungener „Integration“ hinzuwirken, denn insoweit hat die Ausländerbehörde (ABH) in der Regel durchaus noch eine eigene Entscheidungskompetenz. Dass BAMF und Verwaltungsgericht im Asylverfahren keine asylrechtlich relevante Gefahren im Herkunftsland erkennen konnten, schließt gerade nicht aus, dass die ABH dann noch eine Aufenthaltserlaubnis oder zumindest eine Duldung aufgrund gelungener Integration erteilt. In diesem Sinne ermuntere ich auch meine Mandant*innen immer ausdrücklich, Deutsch zu lernen und sich Arbeit oder noch besser eine Ausbildung zu suchen (in dieser Reihenfolge), versuche dabei dann aber eben auch deutlich zu machen, dass diese Bemühungen weniger für das Asylverfahren selbst, sondern vor allem für den Fall der Ablehnung eines Asylantrages relevant sein könnten.

2. „Wer arbeitet, bekommt ein Bleiberecht!“

Ok, aber das heißt dann doch: Wenn ich anfange zu arbeiten, und mein Asylantrag dann abgelehnt wird, dann darf ich aufgrund meiner Erwerbstätigkeit trotzdem in Deutschland bleiben? Nein, so einfach ist das dann leider auch wieder nicht. In der politischen Debatte wird diese Frage unter dem Stichwort „Spurwechsel“ diskutiert und unnötig ideologisch aufgeladen.

Leider ist diese politische Debatte in Deutschland diesbezüglich völlig irrational und durch hartnäckige Realitätsverweigerung gekennzeichnet. Statt sich einfach darüber zu freuen, wenn Menschen herkommen und hier arbeiten wollen, hält man lieber hartnäckig am Mythos der „unkontrollierten Massenzuwanderung“ fest, die es in den Griff zu bekommen gelte. Es dominiert daher nach wie vor die konservative Sichtweise, dass ein Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit grundsätzlich voraussetzt, dass man bereits mit einem Visum zur Erwerbstätigkeit nach Deutschland gekommen ist. Ein Wechsel aus einem Asylverfahren bzw. aus einer Duldung nach bestandskräftiger Ablehnung eines Asylantrages wird daher durch sehr hohe Hürden unnötig erschwert.

Zwar hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich verschiedene Regelungen geschaffen, die einem solchen Spurwechsel zumindest nahekommen. Zu denken wäre hier an die Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG), die „Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete zum Zweck der Beschäftigung“ nach § 19d AufenthG und die stichtagsgebundene Regelung zum Spurwechsel nach Rücknahme eines Asylantrags in § 10 Abs. 3 Satz 5 AufenthG. Allen diesen Vorschriften ist gemein, dass sie an eine Vielzahl von weiteren Voraussetzungen gekoppelt sind, sodass im Ergebnis nur eine eher überschaubare Anzahl von Personen von ihnen profitiert. Im Einzelfall kann auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG unter dem Stichwort der „Verwurzelung“ in Frage kommen, auch das ist allerdings wieder ein spezielles und sehr kompliziertes Thema. Ob eine dieser Regelungen im konkreten Fall weiterhelfen kann, muss einer sorgfältigen Einzelfallberatung vorbehalten bleiben. Fest steht jedenfalls: Einen Automatismus im Sinne von „Ich arbeite, also bleibe ich!“ gibt es gerade nicht.

Ein Sonderfall in diesem Zusammenhang sind Berufsausbildungen, da für diese wiederum besondere Regelungen gelten, Stichwort „Ausbildungsduldung“ (§ 60c AufenthG) oder „Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung für ausreisepflichtige Ausländer“ (§ 16g AufenthG). Auch da zeigt jedoch bereits ein kurzer Blick ins Gesetz, dass jeweils eine ganze Reihe weiterer Voraussetzungen vorliegen müssen, um wirklich in den Genuss einer dieser Regelungen zu kommen. Dennoch berate auch ich regelmäßig dahin, Leuten den Beginn einer Ausbildung zu empfehlen, da dies zumindest in NRW in vielen Fällen der einfachste Weg hin zu einer nachhaltigen aufenthaltsrechtlichen Perspektive ist.

2.1 „Wer studiert, darf in Deutschland bleiben!“

Das ist gewissermaßen eine Variante des vorherigen Abschnitts, aber da auch insoweit falsche Vorstellungen kursieren, noch mal ganz ausdrücklich: Ebenso wenig, wie man für eine Arbeit automatisch in Deutschland bleiben darf, darf man es für ein Studium. Auch hier gilt das Goldene Kalb des Aufenthaltsrechts, der Primat des Visumverfahrens: Wer eine Aufenthaltserlaubnis für ein Studium möchte, muss auch mit einem Visum für ein Studium einreisen.

Verwirrend ist hierbei insbesondere, dass eine Ausbildung, wie gerade erwähnt, unter Umständen eine aufenthaltsrechtliche Perspektive vermitteln kann. Für ein Studium (wie auch für Schulbesuch) gilt das aber eben gerade nicht ohne Weiteres. Das hat zur Folge, dass man jungen Menschen mit guten Leistungen in der Schule unter Umständen aus aufenthaltsrechtlicher Perspektive dazu raten muss, einer Ausbildung den Vorzug vor dem Abitur oder einem Studium zu geben. Ob man das sinnvoll finden muss, weiß ich nicht, aber so will es halt das Gesetz.

Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass es durchaus auch Studiengänge gibt, die zugleich als Ausbildung gelten. Ein Beispiel hierfür wäre der Studiengang „Pflege und Gesundheit“ an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf, der sowohl mit einem B. Sc. als auch mit dem Abschluss einer staatlich anerkannten Pflegefachkraft endet. Da Pflegefachkraft ein Abschluss einer Berufsausbildung ist, kann dieses sog. duale Studium auch als Berufsausbildung gewertet werden.

3. „Wer in Deutschland geboren wurde, ist deutscher Staatsangehöriger!“

Eine weit verbreitete falsche Vorstellung ist auch, dass man, wenn man in Deutschland geboren wird, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Es gibt grundsätzlich zwei Modelle, nach denen ein Staatsangehörigkeitsrecht aufgebaut sein kann: Das „ius sanguinis“ („Recht des Blutes“) und das „ius soli“ („Recht des Bodens“). Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht wird nach wie vor vom Gedanken des „ius sanguinis“ dominiert: Das bedeutet, deutsch ist, wer ein deutsches Elternteil hat, § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG. Zwar wurde diese Regel schon vor einiger Zeit durch Ansätze eines „ius soli“ ergänzt, § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG. „Ius soli“ bedeutet, dass ich alleine dadurch, dass ich auf einem bestimmten staatlichen Territorium geboren werde, erhalte ich die Staatsangehörigkeit dieses Staates. So wird es beispielsweise immer über die USA berichtet, inwiefern das tatsächlich zutrifft, entzieht sich meiner Kenntnis.

In Deutschland setzt diese Regelung allerdings nicht nur voraus, dass ich in Deutschland geboren werde, sondern zudem auch, dass eines meiner Elternteile schon seit acht (bald: fünf) Jahren rechtmäßig in Deutschland sein und zum Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht hat.

Die Betonung liegt auf „rechtmäßig“. Nicht rechtmäßig in diesem Sinne ist insbesondere ein nur geduldeteter Aufenthalt. Die Kinder (vormals) geduldeter Eltern erhalten also auch dann nicht die Staatsangehörigkeit, wenn sie schon seit zwanzig Jahren in Deutschland sind. Auch, wenn jemand ein paar Monate vor der Geburt seines Kindes eine Niederlassungserlaubnis bekäme, bis dahin aber zehn Jahre geduldet gewesen wäre, würde es am fehlenden rechtmäßigen vorherigen Aufenthalt scheitern (ganz abgesehen davon, dass ein Wechsel aus einer Duldung direkt in eine Niederlassungserlaubnis ohnehin praktisch kaum vorstellbar ist).

4. „Wer fünf Jahre in Deutschland ist, kann eingebürgert werden!“

Das Staatsangehörigkeitsrecht wird reformiert. Die Reform tritt in wenigen Wochen in Kraft, und wird für einige Menschen Verbesserungen mit sich bringen, für andere nicht, aber das soll hier nicht das Thema sein. Worauf es hier ankommt, ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen: Über anstehende Änderungen wird auf diversen Kanälen berichtet; nur sind die Berichte leider ungenau und es bleiben wesentliche Aspekte auf der Strecke, sodass im Ergebnis ein falscher Eindruck entsteht.

Der Anspruch auf Einbürgerung ist geregelt in § 10 Abs. 1 StAG. Dieser setzt bislang einen rechtmäßigen Aufenthalt von acht Jahren voraus, der unter Umständen abgekürzt werden kann, auf sechs Jahre. In Zukunft reicht dann ein rechtmäßiger Aufenthalt von fünf Jahren aus, der abgekürzt werden kann, auf drei Jahre. So oder so müssen noch diverse weitere Voraussetzungen vorliegen.

Die Betonung liegt allerdings auch hier auf dem Wörtchen „rechtmäßig“. Nicht als rechtmäßig in diesem Sinne gilt insbesondere ein Aufenthalt in der Duldung (§ 60a AufenthG). Auch ein gestatteter Aufenthalt (§ 55 AsylG) während eines Asylverfahrens kann nur unter Umständen angerechnet werden. Wer also bereits seit zehn Jahren in Deutschland ist, aber erst seit einem Jahr eine Aufenthaltserlaubnis hat und die neun Jahre zuvor geduldet war, hat keinen Anspruch auf eine Einbürgerung.

5. „Wer fünf Jahre in Deutschland ist, bekommt einen Chancen-Aufenthalt!“

Ok, dann kann ich also nicht eingebürgert werden, aber immerhin kann man doch nach fünf Jahren in Deutschland ein Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG bekommen? Leider hat auch diese Sache einen Haken. Abgesehen davon, dass auch für ein sog. Chancen-Aufenthaltsrecht noch ein paar andere Voraussetzungen vorliegen müssen, die allerdings in der Tat vergleichsweise niedrigschwellig ausgestaltet sind, ist das Chancen-Aufenthaltsrecht stichtagsgebunden. Das bedeutet, dass die fünf Jahre andauernde Voraufenthaltszeit bereits am 31.10.2022 vorhanden gewesen sein muss. Praktisch bedeutet das, dass nur Menschen, die schon seit Oktober 2017 in Deutschland sind, von der Regelung profitieren können. Anders herum ausgedrückt: Wer erst nach Oktober 2017 nach Deutschland eingereist ist, kann auch dann kein Chancen-Aufenthaltsrecht bekommen, wenn die fünf Jahre voll sind.

6. „Der subsidiäre Schutz ist nur ein Jahr lang gültig!“

Das deutsche Asylrecht kennt verschiedene Schutzstatus (Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz und Abschiebungverbote). Die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen unterscheiden sich ja nach Schutzstatus enorm, etwa, was die Möglichkeiten zur Familienzusammenführung angeht, den Übergang in einen unbefristeten Aufenthaltstitel(Niederlassungserlaubnis) oder die Einbürgerung. Ein Unterschied, der in der Praxis häufig für Verwirrung sorgt, ist die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund des Schutzstatus erteilt wird. Eine Person, die als asylberechtigt anerkannt oder der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Wer ein Abschiebungsverbot bekommen hat, soll eine Aufenthaltserlaubnis für „für mindestens ein Jahr“ bekommen, § 26 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Beim subsidiären Schutz hingegen war es bis zum Februar dieses Jahres so, dass eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr erteilt wurde, die allerdings in aller Regel anschließend um zwei Jahre verlängert wurde.

Daraus hat sich unter Geflüchteten der Sprachgebrauch entwickelt, dass jemand „ein Jahr“ oder „drei Jahre“ bekommen habe, womit eben gemeint war, dass jemand subsidiären Schutz oder eben die Flüchtlingseigenschaft bekommen habe. Dieser Sprachgebrauch ist allerdings insoweit überholt, als mittlerweile auch für den subsidiären Schutz eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre erteilt wird. Dies ist eine der wenigen sinnvollen Änderungen im ansonsten einigermaßen unsäglichen „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Ampel.

Die Tatsache, dass im Falle eines Abschiebungsverbots oder bis zum Februar dieses Jahres die Aufenthaltserlaubnis üblicherweise nur für ein Jahr erteilt wird bzw. wurde, wurde häufig zu Unrecht dahingehend missverstanden, dass der Schutzstatus selbst auch nur für ein Jahr bestehe. Allerdings sind der Schutzstatus, und der Aufenthaltstitel, der aufgrund eines Schutzstatus erteilt wird, rechtlich zwei verschiedene Paar Schuhe. Alle Schutzstatus gelten grundsätzlich solange weiter, bis das BAMF sie zurücknimmt oder widerruft. Insoweit sind die Regelungen für alle Schutzstatus auch relativ ähnlich, sodass sie sich insoweit praktisch wenig unterschreiben.

Solange der Schutzstatus aber fortbesteht, solange muss die ABH in aller Regel auch die Aufenthaltserlaubnis weiter verlängern. Eine eigene Entscheidungskompetenz hat die ABH nur in pathologischen Sonderfällen, wenn es bswp. um gravierende Straftaten geht.

In diesem Sinne: Es gibt durchaus beträchtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Schutzstatus. Allerdings bieten sie alle einen effektiven Schutz vor Abschiebung in Bezug auf einen bestimmten Zielstaat, der auch prinzipiell erst einmal keiner Befristung unterliegt.

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