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Irak

1. Geschlechtsspezifische Verfolgung

1.1 Alleinstehende Frauen

1.1.1 VG Düsseldorf, Beschluss vom 29.08.2025, 9 L 2759/25.A

Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Frauen sind im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben im Irak verhindern. In den Familien sind patriachalische Strukturen weit verbreitet. Alleinlebende Frauen sind im gesamten Irak ein völlig unübliches Phänomen. Die permanente Kontrolle unverheirateter bzw. verwitweter oder geschiedener Frauen durch männliche Familienmitglieder ist zentraler Bestandteil irakischer Moral- und Ehrvorstellungen. Es wird erwartet, dass sich die Frauen den männlichen Familienmitgliedern unterordnen. Frauen, die sich dem widersetzen, können Opfer von Gewalt im Namen der Ehre werden. Als Frau alleinstehend zu leben, wird im Irak in der Regel nicht akzeptiert, weil es als unangemessenes Verhalten betrachtet wird. Eine Frau, die alleine oder mit einem oder mehreren Kindern aus einer früheren Beziehung lebt, fällt nicht nur auf, sie wird vielmehr von breiten gesellschaftlichen Schichten gemieden bzw. sozial ausgegrenzt, von Männern wie auch von Frauen. Ohne männlichen Schutz sind alleinstehende Frauen dem Risiko körperlicher Misshandlungen ausgesetzt. Sofern diese Frauen Kinder haben, die von ihnen abhängig sind, besteht für diese ebenfalls das Risiko von Misshandlungen. Für eine alleinstehende Frau ohne verwandtschaftliche Kontakte und Unterstützung erweisen sich zahlreiche Alltagshandlungen wie etwa das Finden einer Wohnung als extrem schwierig. Je jünger die Frau ist, umso schwieriger ist ihre Lage. Zudem besteht gerade bei jungen Frauen die Gefahr sexueller Übergriffe und Belästigungen.

Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFHLänderanalyse vom 15.01.2015 zu Irak: Zwangsheirat; ferner EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Gezielte Gewalt gegen Individuen, vom März 2019, und ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von alleinstehenden Frauen, vor allem mit westlicher Gesinnung nach Rückkehr aus dem westlichen Ausland und Asylantragstellung, vom 25.02.2019.

Die beschriebenen, gezielt an das weibliche Geschlecht anknüpfenden Verfolgungshandlungen gegenüber alleinstehenden Frauen ohne schutzbereite männliche Familienangehörigen sind aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Für den Eintritt dieser Verletzung besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit. Alleinstehenden Frauen drohen ohne männliche schutzbereite

Familienangehörige jederzeit sexuelle oder andere gewalttätige Übergriffe, Obdachlosigkeit, wirtschaftliche Not, soziale Isolierung und Demütigung. Die genannten Verfolgungshandlungen drohen nicht nur selten, sondern sie sind üblich und drohen jederzeit. Da eine alleinstehende Frau ohne männliche schutzbereite Familienangehörige sich notgedrungen alleine in der Öffentlichkeit bewegen muss, um eine Wohnung zu mieten, zu arbeiten und sich zu versorgen, kann sie die bestehenden Gefahren auch nicht umgehen.


Vgl. VG Saarland, Urteil vom 15.11.2022 – 6 K 323/21 -.

Diese Bewertung gilt weiterhin. Ausweislich der aktuellen Erkenntnismittel ist die Lage für alleinstehende Frauen, insbesondere ohne schutzbereite männliche Familienangehörige, unverändert prekär.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 21.05.2015, S. 22ff;

Beschluss

2. Yezid*innen

2.1 OVG NRW, U. v. 10.05.2021, 9 A 1489/20.A

Pressemitteilung:

Kein Flüchtlingsstatus für irakische Jesiden

10. Mai 2021

Jesiden aus dem Distrikt Sindjar im Irak haben keinen generellen Anspruch auf eine Flüchtlingsanerkennung, weil ihnen derzeit keine Verfolgung als Gruppe durch den Islamischen Staat (IS) mehr droht. Dies hat das Oberverwaltungsgericht heute in zwei Asylverfahren grundsätzlich geklärt und anderslautende Urteile des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aufgehoben. Die Rechtsprechung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte war in dieser Frage, die sich in einer Vielzahl von Fällen stellt, bisher uneinheitlich.

Geklagt hatten in den heute entschiedenen Asylverfahren eine 19-jährige Jesidin aus dem Irak, die derzeit in Solingen lebt, und ein alleinstehender 23-jähriger Mann aus Mülheim. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte entschieden, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihnen wegen einer Verfolgung der Gruppe der Jesiden im Sindjar (Provinz Ninive) durch den IS die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen muss. Dagegen richteten sich die vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufungen des BAMF, die nun Erfolg hatten.

Zur Begründung hat der 9. Senat ausgeführt: Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit der Kläger zur Gruppe der Jesiden ist nicht anzunehmen. Sie sind zwar 2014 vor einer drohenden Verfolgung wegen ihrer Religion durch den IS aus ihrer Heimat geflohen. Derzeit sprechen allerdings stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung der Glaubensgemeinschaft der Jesiden im Sindjar durch den IS. Die tatsächlichen Verhältnisse im Irak und auch die Sicherheitslage im Distrikt Sindjar haben sich maßgeblich verändert. Der militärisch besiegte IS ist zwar als terroristische Organisation weiterhin aktiv, aber nicht in einem Ausmaß, dass jedem Angehörigen der Gruppe der Jesiden im Sindjar aktuell die Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen droht. Individuelle Verfolgungsgründe hatten die Kläger nicht geltend gemacht. Sie können auch nicht den subsidiären Schutzstatus beanspruchen. Der Senat hat insbesondere eine Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Distrikt Sindjar verneint. Die Sicherheitslage ist nicht so einzuschätzen, dass praktisch jede Zivilperson in dem Gebiet in Gefahr ist, Opfer eines Gewaltakts zu werden. Ob Jesiden aus dem Sindjar wegen sonstiger Gefahren nationalen Abschiebungsschutz beanspruchen können, lässt sich nicht generell, sondern nur anhand der Umstände in jedem Einzelfall beantworten. Während die 19-Jährige bereits vom BAMF nationalen Abschiebungsschutz zugesprochen bekommen hatte, hat das Oberverwaltungsgericht diesen dem Kläger versagt. Die humanitäre Situation ist jedenfalls in der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak nicht menschenrechtswidrig, wo der 23-Jährige Schutz finden könnte.

Ob der vor dem Oberverwaltungsgericht erfolglose Kläger tatsächlich in den Irak abgeschoben wird, entscheidet die örtliche Ausländerbehörde.

Der Senat hat die Revision jeweils nicht zugelassen. Dagegen ist Nichtzulassungsbeschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Aktenzeichen: 9 A 1489/20.A (I. Instanz: VG Düsseldorf 13 K 2693/19.A), 9 A 570/20.A (VG Düsseldorf 16 K 4584/19.A).

irak.1760302689.txt.gz · Zuletzt geändert: von marcel