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Inhaltsverzeichnis
Libanon
1. LGBTQIA+
1.1 Flüchtlingsanerkennung eines bisexuellen Mannes
1.1.1 VG Düsseldorf, Urteil vom 25.11.2025, 17 K 4560/21.A
Dies zugrunde gelegt ist die Einzelrichterin im hier gegebenen Fall davon überzeugt, dass der Kläger bisexuell ist und ihm deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung im Libanon droht.
a. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, bisexuell zu sein und seine Sexualität auch auszuleben. Er hat seine Bisexualität im Rahmen der informatorischen Anhörung anschaulich und glaubhaft dargelegt.
Dieser Überzeugung steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger erstmals in Deutschland (einvernehmliche) sexuelle Kontakte mit Männern gepflegt hat. Denn ungeachtet der Tatsache, dass dies aus Sicht der Einzelrichterin aufgrund der Sozialisierung des Klägers in Saudi-Arabien, wo gleichgeschlechtlicher Sex sogar mit dem Tod bestraft werden kann,
vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Saudi-Arabien, Gesamtaktualisierung am 23. April 2025, S. 36,
nachvollziehbar erscheint, bestehen jedenfalls keine Zweifel daran, dass der Kläger seine sexuelle Orientierung seit seiner Ankunft in Deutschland auslebt. Er hat hierzu glaubhaft vorgetragen, nach seiner Ankunft in Deutschland erstmals im Jahr 2020 über die App Grindr einen Mann kennengelernt und auch mit ihm geschlafen zu haben. Seitdem habe er sich mit ca. zehn anderen Männern zum Geschlechtsverkehr getroffen, wobei es sich jeweils um unverbindliche Treffen gehandelt habe. Davon habe er auch der benannten Zeugin […] berichtet, auf deren Ladung und Vernehmung die Einzelrichterin verzichtet hat. Insgesamt war der Vortrag des Klägers zu seinem Sexualleben schlüssig, greifbar und widerspruchsfrei, sodass davon auszugehen ist, dass er von tatsächlich Erlebtem berichtet hat.
b. Dem Kläger droht im Libanon aufgrund seiner bisexuellen Orientierung auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung.
Im Libanon fallen homosexuelle Handlungen, auch zwischen Volljährigen, nach der in
der Rechtsprechung vorherrschenden Meinung unter Art. 534 des Strafgesetzbuches („widernatürliche Handlungen“) und werden mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr be- straft, vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschie- bungsrelevante Lage in der Republik Libanon, Stand: 14. Januar 2024, S. 19. Seit 2009 gab es vereinzelt Gerichtsentscheidungen, denen zufolge homosexuelle Handlungen nicht „widernatürlich“ seien und daher tatbestandlich nicht von Art. 534 erfasst seien, darunter Einzelentscheidungen sowohl eines Berufungsgerichts als auch eines Militärgerichts. Dies ist allerdings weiterhin Ausdruck einer Mindermeinung in der Rechtsprechung,
vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Libanon, Stand: 14. Januar 2024, S. 19.
Bereits die Erwähnung, dass es nur vereinzelt gerichtliche Entscheidungen gegeben habe, die eine Verwirklichung des Tatbestandes der strafrechtlichen Norm verneinen, demzufolge homosexuelle Handlungen mit Freiheitsstrafe zu ahnden sind, belegt, dass von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, es komme auch zu einem Strafverfahren und zu einer Verurteilung bei Verdächtigung, homosexuell zu sein. Wird über die Ausnahme als erwähnenswert berichtet, ist hieraus bereits zu schließen, dass in der Regel gerade hierzu konträr seitens Behörden und Gerichten
entschieden wird. Entsprechend ist dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu ent- nehmen, dass die vereinzelt gebliebenen Entscheidungen Ausdruck einer Minder- heitsmeinung sind,
vgl. hierzu: VG Leipzig, Urteil vom 11. Juli 2023 – 7 K 114/22.A –, juris Rn. 34.
Auch kommt es gelegentlich zu Schikanen, z. T. auch gewaltsamen Übergriffen, gegen LGBTIQ+ Personen durch Sicherheitsorgane, aber auch durch religiöse Gruppen –
etwa während der Beirut Pride 2017,
vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Libanon, Stand: 14. Januar 2024, S. 19.
Gewalt gegen queere Personen wird häufig als gesellschaftlich akzeptabel angesehen und in einigen Fällen sogar von Familien, religiösen Gemeinschaften und der Gesellschaft im Allgemeinen gefördert,
vgl. EUAA, Lebanon: Country Focus, Country of Origin Information Report, November 2025, S. 72.
Es kommt im Libanon regelmäßig zu teilweise gewaltsamen Übergriffen auf homosexuelle Personen, die von Einzelpersonen, religiösen Gruppen, örtlichen Banden und auch von staatlichen Sicherheitskräften ausgehen. Die Betroffenen suchen regelmäßig keinen Schutz durch die Behörden, da ihnen neben der Gefahr der Strafverfolgung
auch Schikanen durch die Sicherheitsbehörden drohen. Nichtregierungsorganisationen berichten von willkürlichen Verhaftungen von homosexuellen Personen, die gewaltsam durchgeführten, entwürdigenden „rektalen Untersuchungen“ unterzogen werden,
vgl. VG Köln, Urteil vom 1. März 2022 – 20 K 85/19.A –, juris S. 9.
Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass die Regierung Mitglieder der LGBTQI+-Community mit traditionellen Methoden wie Belästigungen auf der Straße, Verhaftungen und dem Vorgehen gegen Veranstaltungen und Versammlungen sowie mit digitalen Methoden wie dem Fallenstellen in sozialen Medien und Dating-Apps,
Online-Erpressung, Online-Belästigung und Online-Outings von Personen schikaniert. Infolge der Outings berichteten LGBTQI+-Personen von häuslicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen aufgrund persönlicher Daten, die durch unrechtmäßige Durchsuchungen auf Mobiltelefonen und anderen Geräten gefunden wurden. Es gab Be- richte, dass Sicherheitskräfte LGBTQI+-Personen in Gewahrsam misshandelten, ins- besondere in Gegenden außerhalb von Beirut. Zu den Misshandlungen zählten er- zwungene HIV-Tests und Drohungen mit längerer Inhaftierung oder der Offenlegung der Identität gegenüber Familie oder Freunden. Die Regierung hat keine Ermittlungen aufgenommen oder diejenigen, die an Gewalt und Missbrauch gegen LGBTQI-Perso- nen durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure beteiligt waren, strafrechtlich belangt oder bestraft,
vgl. United States Department of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor, Country Reports on Human Rights
Practices for 2023, S. 49 f.
Das Klima verschlimmerte sich 2023 weiter, als Oppositionsabgeordnete einen Antrag zur Aufhebung von Art. 534 einbrachten. Politische und religiöse Führer aller Richtungen mobilisierten gegen diese Initiative. Dieser Diskurs trug zu einer breiteren Kampagne gegen LGBTIQ+-Rechte bei. Die Einschränkungen gingen über die Rhetorik hinaus. Laut Freedom House überwachten Sicherheitsbehörden die Online-Aktivitäten von Aktivisten und Gruppen, darunter auch LGBTIQ-Personen, durch das Eindringen in soziale Netzwerke,
vgl. EUAA, Lebanon: Country Focus, Country of Origin Information Report, November 2025, S. 71 f.
Vor diesem Hintergrund besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger, wenn er seine Bisexualität im Libanon offen ausleben möchte und bei dem es
naheliegt, dass sein (soziales) Umfeld seiner Bisexualität ablehnend gegenübersteht und strafrechtliche Ermittlungen in Gang setzten lassen könnte, damit rechnen muss, wegen homosexueller Handlungen strafrechtlich verfolgt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. Es darf von dem Kläger nicht erwartet werden, dass er bei einer Rückkehr in den Libanon seine Bisexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Aus- leben seiner sexuellen Orientierung übt, um in Zukunft die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden,
vgl. hierzu: EuGH, Urteil vom 7. November 2013 – C-199/12 bis C-201/12 –, juris Rn. 65; VG Leipzig, Urteil vom 11. Juli 2023 – 7 K 114/22.A –, juris Rn. 35; VG Köln, Urteil vom 1. März 2022 –
20 K 85/19.A –, juris S. 11; VG Dresden Urteil vom 13. Dezember 2021 – 11 K 1268/19.A –, juris, S. 11.
