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Iran

1. Exilpoltische Betätigung

1.1 VG Aachen, Urteil vom 18.04.2023, 10 K 2107/20.A

a. Nach den Erkenntnissen des Gerichts sind generell die Teile der iranischen Bevöl- kerung, die öffentlich Kritik an Missständen üben oder sich für Menschenrechtsthe- men engagieren, der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Gegen die politische Opposition werden immer wieder drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände („regimefeindliche Propaganda“, „Beleidigung des Obersten Füh- rers“ etc.) verhängt.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab- schiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 30. November 2022 (Stand: 18. Novem- ber 2022), S. 9 f.; BfA, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran (Stand: 23. Mai 2022), S. 62 f.; amnesty international, Report Iran 2021 (Stand: 29. März 2022); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Risiken im Zusammenhang mit der Veröffentli- chung von „kritischen“ Informationen in sozialen Netzwerken, 25. April 2019, S. 5 f.

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder islami- sche Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Isla- mischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontak- te unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden.

Vgl. BfA, Länderinformationsblatt der Staatendoku- mentation, Iran (Stand: 23. Mai 2022), S. 62 f.

Kurdischen Aktivisten werden in vielen Fällen von der Zentralregierung separatisti- sche Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet. Im Bericht des UN- Sonderberichterstatters zur Menschenrechtslage in Iran vom Juli 2019 ist festgehal- ten, dass fast die Hälfte aller politisch Inhaftierten zur kurdischen Minderheit zählen und dabei überproportional oft aus Gründen der nationalen Sicherheit zur Todesstrafe verurteilt werden.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab- schiebungsrelevante Lage in der Islamischen Repub- lik Iran vom 5. Februar 2021 (Stand: Dezember 2020), S. 12, sowie Bericht vom 30. November 2022 (Stand: 18. November 2022), S. 15; Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 10.

Kurdische Personen, welche sich politisch engagieren oder mit politischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, werden zum Ziel der iranischen Behörden. Dies gilt vor allem für kurdische Personen mit Verbindungen zu traditionell separatistischen kurdischen Parteien wie Komala, KDPI und PJAK, welche die Unabhängigkeit und antistaatliche Aktivitäten propagieren. Bereits bei friedlichen Aktivitäten kann ein behördliches Eingreifen drohen. In Einzelfällen reichen sogar einfache Aktivitäten, wie die Teilnahme an Demonstrationen oder an Streiks, aus, um der Zusammenar- beit mit der Opposition beschuldigt zu werden. Die konkrete Behandlung variiert je- doch von Fall zu Fall und hängt unter anderem vom zuständigen Beamten ab. Mit dem Grad des oppositionellen Engagements nimmt die Wahrscheinlichkeit, Ziel poli- tischer Verfolgungsmaßnahmen zu werden, grundsätzlich zu.

Vgl. Danish Immigration Service, Country Report, Iranian Kurds, Consequences of political activities in Iran and KRI, Februar 2020, S. 20 ff.; Schweizeri- sche Flüchtlingshilfe, Iran: Gefährdung politisch akti- ver kurdischer Personen, 27. September 2018, S. 3 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gefährdung eines Mitglieds der KDP bei der Rückkehr in den Iran, 22. Januar 2016, S. 2 f.; BfA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Iran (Stand: 23. Mai 2022), S. 62 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Re- publik Iran vom 30. November 2022 (Stand: 18. No- vember 2022), S. 14.

Auch willkürliche Verhaftungen von kurdischen Personen kommen vor; die Beweg- gründe der Behörden sind insofern unklar.

Vgl. BfA, Länderinformationsblatt der Staatendoku- mentation, Iran (Stand: 23. Mai 2022), S. 62.

Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen - insbesondere mit dem Vorwurf einer Unterstützung der kommunistischen Komala- Partei oder der KDP-Iran - und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafmaß. Kurdi- sche Personen machen auch einen überproportionalen Anteil der zum Tode verurteil- ten und hingerichteten Personen aus.

BfA, Länderinformationsblatt der Staatendokumenta- tion, Iran (Stand: 23. Mai 2022), S. 16 f., 63; Öster- reichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 10.

Im Fokus stehen nicht nur die Mitglieder der verbotenen kurdischen Parteien. Auch Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um Druck auf die Aktivisten auszuüben. Dabei werden enge Familienmitglieder häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und ab- schiebungsrelevante Lage in der Islamischen Repub- lik Iran vom 5. Februar 2021 (Stand: Dezember 2020), S. 16; BfA, Länderinformationsblatt der Staa- tendokumentation, Iran (Stand: 23. Mai 2022), S. 16.

Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Risiken im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von „kriti- schen“ Informationen in sozialen Netzwerken, 25. April 2019, S. 3 ff.; VG Würzburg, Urteil vom 16. Ok- tober 2017 - W 8 K 17.31567 -, juris, Rn. 25, m. w. N.

Ob eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im Falle exilpolitischer Aktivitäten für (kurdische) Oppositionsgruppen vorliegt, ist nach den konkret-individuellen Ge- samtumständen des Einzelfalles zu beurteilen. Ab welcher Intensität der politischen Aktivitäten es zu Verfolgungshandlungen kommt, lässt sich dabei nicht allgemeingültig beantworten. Die passive Mitgliedschaft oder die vereinzelte Teilnahme an Demonstrationen allein genügen in der Regel jedoch nicht. Insoweit erscheint es lebensfremd, dass jede Person, die an Veranstaltungen der (kurdischen) Exilopposi- tion teilnimmt, als möglicher Regimekritiker erkannt und verfolgt wird. Auch sind bloße untergeordnete exilpolitische Betätigungen, auch wenn sie im Internet dokumentiert sind, für sich genommen nicht ausreichend, um erhebliche Repressalien bei der Rückkehr befürchten zu lassen. Nach der Erkenntnislage ist iranischen Stellen bekannt, dass eine große Zahl iranischer Asylsuchender aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im westlichen Ausland dauernden Aufenthalt zu finden, und hierzu Asylverfahren mit entsprechendem Vortrag betreibt. Bekannt ist weiter, dass deshalb auch entsprechende Aktivitäten stattfinden, etwa eine oppositionelle Betätigung in Exilgruppen, die häufig dazu dienen, Nachflucht- gründe zu belegen. Auch insoweit ist davon auszugehen, dass die iranischen Behörden diese Nachfluchtaktivitäten realistisch einschätzen. Vielmehr können exilpolitische Betätigungen eine asylerhebliche Verfolgungsgefahr nur begründen, wenn nach den konkret-individuellen Umständen des Einzelfalls damit zu rechnen ist, dass der Betroffene für iranische Stellen erkennbar und identifizierbar in die Öffent- lichkeit getreten ist und als ein Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der iranischen Behörden eine ernsthafte Gefahr für den islamischen Staat ausgeht. Entscheidend ist, ob die Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 16. Februar 2022 (Stand: 23. Dezember 2021), S. 15; BfA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Iran (Stand: 23. Mai 2022), S. 94 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Gefährdung politisch aktiver kurdischer Personen, 27. September 2018, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Ri- siken im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von „kritischen“ Informationen in sozialen Netzwer- ken, 25. April 2019, S. 3 ff., 5 f.; Sächs. OVG, Be- schluss vom 12. Oktober 2021 - 2 A 88/20.A -, juris, Rn. 25 ff., 30; OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 - 6 A 1407/19.A -, juris, Rn. 32, vom 22. August 2019 - 6 A 300/19.A -, juris, Rn. 14, und vom 16. Ja- nuar 2017 - 13 A 1793/16.A -, juris, Rn. 10 f., jeweils m. w. N.; Schl.-H. OVG, Urteil vom 24. März 2020 - 2 LB 18/19 -, juris, Rn. 35 ff., 39.

b. An dieser Einschätzung der Gefährdungslage für Rückkehrer ist vorerst weiter festzuhalten, auch wenn die Sicherheitslage in Iran in den ersten Monaten seit dem 18. September 2022 infolge der Reaktionen auf den Tod der jungen Iranerin Jina Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei eskaliert ist und es in der Hauptstadt Teheran sowie in vielen weiteren Landesteilen - gerade in den iranischen Kurdengebieten - seitdem zu fortdauernden Protesten und heftigen Auseinanderset- zungen mit Sicherheitskräften gekommen ist. Polizei- und Sicherheitskräfte sind da- bei gewaltsam und mit aller Härte gegen Demonstrierende vorgegangen, es gab zahlreiche Tote und Verletzte. Im räumlichen Umfeld von Demonstrationen ist es tausendfach zu willkürlichen Verhaftungen gekommen. Das Regime hat im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten im Land bereits Hunderte Menschen zu Freiheitsstrafen oder gar zum Tode verurteilt und einige Demonstranten zwischen- zeitlich sogar hingerichtet.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 30. November 2022 (Stand: 18. No- vember 2022), S. 6 und 10; vgl. zudem u. a. Spiegel, Proteste in Iran - Hunderte Menschen in Teheran zu Freiheitsstrafen verurteilt (im Internet abrufbar unter https://www.spiegel.de/ausland/iran-proteste-mehrjae hrige-haftstrafen-fuer-400-demonstranten-in-teheran-a-45ce8ea8-7141-453f-b539-a9fb771eaf54); FAZ, Proteste in Iran - Spirale der Gewalt, 13. Dezember 2022 (im Internet abrufbar unter https://www.faz.net/aktuell/politik/iran-nach-den-hinrichtungen-droht-eine-spirale-der-gewalt-18529104.html); tagesschau, Systemkritiker im Iran - Wut und Empörung nach zweiter Hinrichtung, 12. Dezember 2022 (im Internet abrufbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-zweite-hinrichtung-103.html); Süddeutsche Zeitung, Proteste in Iran - EU beschließt neue Sanktionen gegen Iran, 14. November 2022 (im Internet abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/politik/iran-proteste-eu-sanktionen-1.5695 416); Auswärtiges Amt, Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 31. Januar 2023 (im Internet abrufbar unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396?view=); Bun- deszentrale für politische Bildung, Iran: Anhaltende Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, 20. Oktober 2022 (im Internet abrufbar unter https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/514577/iran-anhaltende-proteste-nach-dem-tod-von-jina-mah sa-amini/); tagesschau, Proteste im Iran, Große Solidarität - und alle Härte des Regimes, 15. Oktober 2022 (im Internet abrufbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-proteste-171.html); amnesty international, Pressemitteilung vom 13. Oktober 2022, Iran: Mindestens 23 Kinder getötet bei brutaler Niederschlagung von Protesten (im Internet abrufbar unter https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteil ung/iran-mindestens-23-kinder-getoetet-bei-brutaler-niederschlagung-von-protesten); alle zuletzt abgerufen am 17. April 2023.

Mit Blick auf diese Situation warnt das Auswärtige Amt auch gegenwärtig noch vor Reisen nach Iran. Auch für deutsche Staatsangehörige bestehe die konkrete Gefahr, willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden. Vor allem Doppelstaater, die neben der deutschen auch noch die iranische Staatsange- hörigkeit besäßen, seien gefährdet. In jüngster Vergangenheit sei es zu einer Viel- zahl willkürlicher Verhaftungen auch ausländischer Staatsangehöriger gekommen.

Vgl. Auswärtiges Amt, Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 31. Januar 2023 (im Internet abruf- bar unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396?view=), zuletzt abgerufen am 17. April 2023.

Das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen hat vor dem Hintergrund dieser aktuellen Entwick- lungen mit Erlass vom 3. November 2022 gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG mit sofortiger Wirkung und (zunächst) befristet bis zum 7. Januar 2023 Abschiebungen nach Iran aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen ausgesetzt und diesen Ab- schiebestopp am 5. Januar 2023 (vorerst) bis zum 7. April 2023 und zwischenzeitlich offenbar bis zum 30. Juni 2023 verlängert.

Vgl. hierzu u. a. WDR vom 5. April 2023, Abschiebestopp in den Iran verlängert (im Internet abrufbar unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/nrw-iran-verlaengerung-abschiebestopp-100.html, zuletzt abgerufen am 17. April 2023.

Dass angesichts der beschriebenen Situation in Iran auch für die Zeit nach dem Auslaufen der Befristung dieses Erlasses und etwaiger Nachfolgeregelungen und damit auch für die Zeit nach dem Wegfall eines auf der Grundlage der Annahme einer allgemeinen Gefahr i. S. d. §§ 60 Abs. 7 Satz 6, 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG politisch entschiedenen Abschiebestopps nunmehr von einer Rückkehrgefahr für alle irani- schen Staatsangehörigen unabhängig von einem besonderen Verfolgungsprofil aus- zugehen ist, ist der aktuellen Erkenntnislage jedoch nicht zu entnehmen. Im Fokus der Sicherheitskräfte stehen aktuell offenbar vielmehr die Teilnehmer an den Protestveranstaltungen und Demonstrationen in Teheran und in den iranischen, vor allem den kurdischen Provinzen. Es ist nach der Erkenntnislage zwar auch davon auszugehen, dass das iranische Regime die Auslandsaktivitäten der (kurdischen) Opposition weiterhin überwacht und dabei gerade diejenigen in den Blick nimmt, die im Ausland in den sozialen Medien protestieren bzw. sich regimekritisch äußern, und grundsätzlich wohl auch diejenigen, die im Ausland an Solidaritäts- und Protestveranstaltungen auf der Straße teilnehmen und sich in dieser Form exilpolitisch und regimekritisch betätigen. Dabei wird das iranische Regime die politischen Gegner, die es identifizieren kann und derer es habhaft werden kann, nach der Erkenntnisla- ge wie zuvor bereits auch mit aller Härte bestrafen. Gleichwohl ist es angesichts des Umstands, dass dieses Protestverhalten massenhaft aufgetreten ist und auftritt,

vgl. etwa tagesschau, Demonstration in Berlin - Zehntausende gegen Irans Führung, 22. Oktober 2022 (im Internet abrufbar unter https://www.tages- schau.de/inland/gesellschaft/protest-iran-berlin-101.h tml); WDR, Proteste im Iran: Tausende bei Demos in Köln und Düsseldorf, 29. Oktober 2022 (im Internet abrufbar unter https://www1.wdr.de/nachrichten/iran-demos-koeln-duesseldorf-100.html), alle zuletzt ab- gerufen am 17. April 2023,

lebensfremd anzunehmen, dass jeder iranische Staatsangehörige, der sich im Ausland exilpolitisch aktiv zeigt, für den iranischen Staat bzw. seinen Geheimdienst überhaupt identifizierbar ist bzw. von diesem tatsächlich identifiziert wird. Es ist deshalb auch unter Zugrundelegung der aktuellen Entwicklungen vorerst weiter im Einzelfall zu prüfen, ob jemand aufgrund seiner (exil-)politischen Aktivitäten von den iranischen Behörden als Regimegegner erkannt wird und im Fall einer Rückkehr deswegen in Gefahr geraten könnte.

Vgl. hierzu schon VG Aachen, u. a. Urteile vom 31. Januar 2023 - 10 K 1906/20.A -, juris, Rn. 46 ff., vom 5. Dezember 2022 - 10 K 2406/20.A -, juris, Rn. 52 ff., und vom 14. November 2022 - 10 K 1630/21.A -, juris, Rn. 51; VG Würzburg, Urteile vom 20. März 2023 - W 8 K 22.30683 -, juris, Rn. 29 ff., und vom 7. November 2022 - W 8 K 21.30749 -, juris, Rn. 37 ff., und - W 8 K 22.30541 -, juris, Rn. 31 ff.; VG Minden, Urteil vom 16. Februar 2023 - 2 K 2637/20.A -, juris, Rn. 140 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Februar 2023 - 2 K 4255/20.A -, juris, Bl. 7 f. des Urteilsabdrucks.

c. Dies zugrunde gelegt ist der Kläger zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) durch seine politischen Aktivitäten in Deutschland in einem Maße nach außen in Erscheinung getreten, dass er dem iranischen Geheimdienst bekannt geworden und dieser über sein politisches Engagement informiert ist und den Kläger als eine Bedrohung empfinden wird. Offen bleiben kann bei dieser Sachlage, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist ist.

Die Kammer ist unter Auswertung des gesamten Akteninhalts und nach dem Ergebnis der informatorischen Anhörung des Klägers davon überzeugt, dass der Kläger nach anfänglicher Zeit als bloßer Sympathisant der kurdischen und von der irani- schen Regierung als separatistisch eingestuften PDKI (vgl. den „Letter of Confirmation“ des Parteibüros der PDKI vom 24. Juli 2019, Bl. 36 der Gerichtsakte) inzwischen Mitglied dieser Partei geworden ist und sie in Deutschland nunmehr bereits über einen längeren Zeitraum hinweg auf vielfältige Weise unterstützt und in dieser Weise und zusätzlich auch in Form regelmäßiger Demonstrationsteilnahmen exilpolitisch aktiv ist. Seine politischen Aktivitäten in Deutschland gehen über die bloße Teilnah- me an regimekritischen Demonstrationen aber deutlich hinaus. Seine Schilderungen hierzu, insbesondere zu seinem nicht nach außen tretenden innerparteilichen Arbei- ten sowie der hinzutretenden Vertretung der Partei als Repräsentant in der Öffent- lichkeit, waren in der mündlichen Verhandlung in sich schlüssig, nachvollziehbar und emotional, die Darstellung aber nicht erkennbar übertrieben. Der Kläger hat hierbei einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck gemacht und die Kammer davon über- zeugt, dass er politisch in herausgehobener Weise aktiv ist und sich aus tiefer Über- zeugung insbesondere für kurdische Belange einsetzt. Seine Angaben werden durch die von ihm vorgelegten Lichtbilder bestätigt, die ihn nicht nur bei verschiedenen Demonstrationen in Aachen und Köln als aktiven Teilnehmer und Vertreter der PDKI zeigen, sondern ihn auch als Teilnehmer von Parteiveranstaltungen der PDKI und anderer prokurdischer und regimekritischer Veranstaltungen ausweisen.

Urteil

2. Nicht eheliche Beziehung

2.1 VG Köln, Urteil vom 18.04.2023, 12 K 3652/20.A

Seite 9 f.:

Nach diesen Maßgaben ist die Klägerin zu 1. im vorliegenden Einzelfall subsidiär schutzberechtigt. Das erkennende Gericht ist auf der Grundlage des glaubhaften Vor- trags der Klägerin zu 1. nach persönlicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass ihr im Iran jedenfalls eine unmenschliche oder erniedri- gende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen würde

Grundsätzlich ist nach iranischem Recht jeder Geschlechtsverkehr zwischen Personen strafbar, die nicht miteinander verheiratet sind und wird mit 100 Peitschenhieben be- straft (Artikel 221 iranisches StGB). Für Personen, die einen Ehebruch begehen, ist die Steinigungsstrafe zu verhängen, wenn sie in dauernder Ehe verheiratet sind.

Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 56 Iran, Rechtliche Situation der Frauen, Stand Januar 2023, S. 14 m.w.N.; Home Office UK, Guidance - Country policy and information note: ‘Zina’ (sex outside of marriage and adultery), unter Punkt 4, Iran, Stand Juli 2022, aktualisiert am 30.11.2022, https://www.gov.uk/government/, zuletzt abgerufen am 17.04.2023;

Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass im Falle der Klägerin zu 1. die geannten Strafvorschiften angewandt würden.

Den Tatbestand der unerlaubten Beziehung, hat die Klägerin durch ihr „Verhalten“ in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht. Auf eine ggf. ebenfalls von ihr eingegangene außereheliche Beziehung vor ihrer Ausreise, auf die das Bundesamt noch in dem streitgegenständlichen Bescheid abgestellt hatte, kommt es insofern im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht (mehr) an. Die Klägerin zu 1. ist zwar nach ihren glaub- haften Einlassungen in der mündlichen Verhandlung seit 2021 geschieden von dem nach wie vor im Iran aufhältigen Vater des Klägers zu 2. (vgl. S. 2 des Sitzungsprotokolls und Bl. 64 GA, aber noch die bei dem Bundesamt vorgelegten Dokumente über das Bestehen der Ehe auf Bl. 125 BA002 ff.). Ausweislich der vorgelegten deutschen Geburtsurkunde und Vaterschaftsanerkennung hat die heute ledige Klägerin zu 1. am 21.03.2023 das Kind des Herrn in der Bundesrepublik geboren (Bl. 61 ff. GA). Mit letzterem, einem ebenfalls iranischen Staatsangehörigen, ist sie nach ihren glaubhaften Einlassungen in der mündlichen Verhandlung und ausweislich der Vaterschaftsanerkennungsurkunde nicht verheiratet.

Das Gericht hält es angesichts der Tatsache, dass durch das am 21.03.2023 geborene Kind der Klägerin ein unwiderlegbarer Beweis der Tatbestandsverwirklichung gegeben ist, für beachtlich wahrscheinlich, dass ein iranisches Gericht im Falle eines Verfahrens zu einer Verurteilung käme und auch die Gründe hierfür in nach iranischem Recht hin- reichender Weise darlegen könnte.

Das Gericht geht zudem davon aus, dass es nach der Rückkehr der Klägerin zu 1. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfahrenseinleitung gegen die Klägerin zu 1. kommen wird. Zwar haben die iranischen Strafverfolgungsbehörden nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln häufig kein ausgeprägtes Interesse daran, außer- eheliche Beziehungen zu verfolgen. Wird allerdings ein Verfahren durch die Anklage eines Dritten eingeleitet, wird regelmäßig ein Verfahren eröffnet.

Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 56 Iran, Rechtliche Situation der Frauen, Stand Januar 2023, S. 16.

Urteil

iran.txt · Zuletzt geändert: 2024/07/13 12:10 von 127.0.0.1